_indi_ fragt auf Twitter in die Runde: Hatten wir schon den täglichen Mutanfall?
Zuerst muss ich schmunzeln. Aber dann animiert dieser Tweet mich zum Nachdenken. Es steckt so viel in dieser simplen Frage. Sechs simple Worte mit einer ungeheuren Wirkung. So sinniere ich und frage ich mich wirklich mal selbst. War ich heute schon mutig? Was ist Mut, und welches Tun kann als mutige Handlung bezeichnet werden.
Wann hatte ich den letzten Mutanfall?
Und zu was braucht man heutzutage Mut?
Mut, sich gegen mobbende Arbeitskollegen zu wehren?
Diesen Mut hatte ich nicht. Die Kraft fehlte mir, das nötige Selbstvertrauen.
Der Mobb war zu mächtig und deren zu viele: drei aktive und ein neutraler Mitläufer, der zuhörte, aber nicht half. Der mobbende Teil war langjährig befreundet mit mir, bevor aus Eifersucht und Egoismus Feindschaft wurde. Wie sich Menschen verändern können, wenn sie neidisch sind!
Auf was waren sie neidisch? Neidisch, dass ich als frisch Geschiedene dennoch mein Haus mit schönem Garten halten konnte. Zudem ein Auto besass und mir sogar noch Ferien leistete – in Indien. Neidisch, dass ich nicht zerstört am Boden lag. Neidisch, dass ich nicht alles verloren hatte, sondern dass es mir besser ging und ich ein tolles unabhängiges Leben führen konnte.
Ich wusste genau: Hätte ich alles verloren und stünde auf der Strasse, hätten sie zwar Mitleid geheuchelt, sich aber hinter meinem Rücken schadenfreudig den Mund fusslig getratscht. Und sich gefreut. Gefreut, dass es mir dreckig ging.
Aber das Karma meinte es gut mit mir.
So blieb ihnen nur das Mobben. Täglich spürte ich den Frost im Nacken beim Öffnen der Bürotür. Mein Instinkt sagte mir, wenn wieder etwas im Gange war. Und als ich es wagte, zum fünften Mal bei der Geschäftsleitung um Monatslohn im 80-%-Pensum zu ersuchen, war der Kessel geflickt. Drei Monate lang wurde ich ignoriert und keines Wortes gewürdigt, obwohl wir Stuhl an Stuhl zusammengearbeitet haben. Höfliche Eiseskälte und eingefrorenes Lächeln. Am Mittagstisch sass man provokativ nicht zu mir an denselben Tisch. Und tuschelte, gefolgt von überlautem Lachen. Ich ass alleine. Konnte kaum schlucken. Der eisige Wind war unerträglich. Den Monatslohn habe ich übrigens nicht bekommen! Es wäre 20 Minuten mehr Arbeit gewesen pro Tag, das man mir nicht erlaubte.
Und ich als Mittfünfzigerin suchte nach einem neuen Job. Ich konnte nicht mehr schlafen und war todunglücklich, an einem Ort mit solch bösen Menschen arbeiten zu müssen. Allein gelassen beschloss ich, nicht mehr zu sprechen. Meinen Job liebte ich so sehr, und ich wollte mir nicht einfach alles kaputt machen lassen von diesen eifersüchtigen, rechthaberischen Hühnern. Nacht für Nacht lag ich im Bett und durchforstete mit meinem Smartphone das Internet nach Jobs, fast ein Jahr: Dann fand ich ihn.
Und ich kündigte ohne Ankündigung. Nach 18 Jahren Firmentreue.
Was hat mir die Kraft gegeben, so lange durchzuhalten und zu ertragen?
Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass es für alles einen tieferen Grund gibt, den wir so im Moment nicht greifen können. Aber er wird sich uns offenbaren. Bleiben wir stark und lassen uns nicht unterkriegen. Karma meint es gut mit uns. Auch wenn es auf den ersten Blick anders erscheint.
Vielleicht war es der Mut, etwas Neues zu wagen, etwas Unkonventionelles? Mut, mich von alten Mustern zu lösen und meinen ureigenen Weg zu gehen.
Und eines weiss ich von mir selbst: Mut, jemandem spontan und ohne Wenn und Aber zu helfen, brauche ich keinen. Das mache ich einfach aus einem Instinkt heraus, ohne lange zu zögern. Auch wenn es zuweilen leichtsinnig erscheint. Es ist mein Naturell. Und hat einen tieferen Sinn. Den ich zwar noch nicht weiss, aber… lassen wir uns doch überraschen.